Streaming-Abmahnungen aufgetaucht

Nachdem urheberrechtliche Abmahnungen sog. „Filesharings“ mittlerweile auf eine jahrelange Tradition zurückblicken, tauchen jetzt erste Abmahnungen für reines Streaming (nicht richtig: reinen Download) von Inhalten in freier Wildbahn auf.

1. Der Sachverhalt zu diesen Streaming-Abmahnungen in Kürze

Die bislang bekannten Fälle spielen im digitalen Rotlichtmilieu: über die Seite redtube.com sollen Filme betrachtet worden sein. Das Betrachten stelle einen Urheberrechtsverstoß dar. Neben einer strafbewehrten Unterlassungserklärung werden Pauschalsummen von 250 € zur Abgeltung von Ermittlungs-, Lizenz- und Anwaltskosten geltend gemacht.

Rechtlich wie auch technisch stellt sich der Sachverhalt als komplex dar. Zahlreiche Rechtsfragen um das reine „Streaming“ sind noch nicht geklärt. Auch die Ermittlung der Betroffenen ist mit Mitteln, wie sie beim Filesharing angewandt wurden, nicht möglich.

2. Wie nun ist das Ansehen eines Streams rechtlich zu bewerten?

Diese Frage liesse sich „sicher“ beantworten, wenn sich dazu bereits eine klare Meinung in der juristischen Literatur und Rechtsprechung gebildet hätte. Das ist aber bedauerlicherweise nicht der Fall.

Angesetzt werden mag bei dem Grundsatz, dass das Kopieren aus einer erkennbar rechtswidrigen Quelle rechtswidrig ist. Soweit, so eindeutig.

Das „Streamen“ ist aber im technischen Sinne kein „Kopieren“. Denn der Stream wird – anders als eine Kopie – nicht dauerhaft auf dem empfangenen Rechner gespeichert. Technisch wie rechtlich stellt sich die Situation nochmals differenziert dar:

„Streamen“ ist nämlich auch nicht gleich „streamen“.

Es kann unterschieden werden zwischen On-Demand-Streaming („Unicast“) und Live-Streaming (Multicast).

Beim On-Demand-Streaming bestimmt ein bestimmter Nutzer, wann die Daten abgerufen werden. Beim Live-Streaming wird der Stream wie bei einer Fernsehsendung einer Vielzahl von Nutzern gleichzeitig zur Verfügung gestellt.

Handelt es sich nun um einen On-Demand-Stream, ist weiter zu unterscheiden: wird der Stream vollständig heruntergeladen („progressive download“) oder lediglich „durchgeleitet“ – also allenfalls in Teilen auf dem Rechner oder auch nur im Arbeitsspeicher gebuffert? Dieser Faktor kann vom Nutzer per Browsereinstellung beeinflusst werden, etwa durch Ausschalten des Cachings. Im letzteren Fall wird gerade keine vollständige Kopie des Originals hergestellt, sondern allenfalls Teile vervielfältigt. Selbst wenn das Caching aber nicht ausgeschaltet worden sein sollte, wird die in diesem Rahmen gefertigte Kopie beim turnusgemäßen Leeren des Caches – etwa bei Erreichen der Speicherquota oder beim Leeren aus Anlass der Programmbeendigung – gelöscht. Auch hier ist die Kopie nicht zur dauerhaften Speicherung vorgesehen.

Geht man nun vom wohl beim Streaming praktisch vorherrschenden Regelfall einer nicht vollständigen Speicherung aus, ist zunächst einmal fraglich, ob überhaupt eine urheberrechtlich relevante Vervielfältigungshandlung vorliegt.

In diesem Zusammenhang wird vertreten, dass beim Buffern lediglich kleiner Teile eines Originals keine Schutzfähigkeit gegeben sei. Denn das Werkteil wäre nur als solches schutzfähig, wenn es an sich Werkscharacter aufweist und nicht als solches nutzlos in der Luft hängt („nutzlos=schutzlos“).

Würde diese Auffassung in der Rechtsprechung den Vorzug eingeräumt bekommen, wären entsprechenden Abmahnung schon an dieser Stelle das Wasser abgegraben.

Nach anderer Auffassung ist der Vervielfältigungsbegriff normativ auszulegen. Danach wäre auch eine „durchlaufende“ Datei geeignet, den Vervielfältigungstatbestand auszufüllen. Es macht nach dieser Auffassung keinen Unterschied, ob die Datei einmal komplett auf dem Zielrechner gespeichert vorliegt, oder lediglich „sukzessiv-chronologisch-temporär“. In ihrer Gesamtheit ist der Inhalt der (schutzfähigen) Originaldatei sowohl bei vollständiger, als auch temporär-gespeicherter Methode zur Kenntnis genommen worden.

Ob man diesen Streit überhaupt entscheiden braucht ist indes fraglich. Da anerkannt ist, dass bereits das Vervielfältigen kleinster Teile eines Werkes die Verletzung von Verwertungsrechten bedeutet (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2008 – I ZR 112/06 – Metall auf Metall) wird wohl eine untersagungsfähige Verwertungshandlung in jedem Falle angenommen werden können.

Was bleibt?

Urheberrechte werden – so wie andere Rechte auch – nicht „schrankenlos“ gewährt. Schanken ergeben sich hier direkt aus dem Urheberrecht. Klassisches Beispiel einer Schranke ist die sog. „Privatkopie“ (§ 53 UrhG). Eine solche – legale – Privatkopie wird man im Falle der Betrachtung eines On-Demand-Streams nicht in jedem Falle konstruieren können. Hier wäre nämlich zu fragen, „was“ auf entsprechenden Seiten realistischer Weise erwartet werden darf: legale Inhalte oder aber illegale Inhalte.

Werden auf den betreffenden Seiten für gewöhnlich „illegale“ Kopien bereitgehalten, so scheidet ein Berufen auf § 53 UrhG im Regelfall aus.

Sofern die betreffenden Seiten aber für gewöhnlich „legale“ Inhalte bereitstellen, kommt ein Berufen auf die Schrankenvorschrift des § 53 UrhG sehr wohl in Betracht. Denn – dies ist Voraussetzung – es wird keine „erkennbar rechtswidrige Quelle“ genutzt.

Nun besteht das Geschäftsmodell entsprechender Seiten wie etwa redtube.com ausdrücklich nicht darin, „illegale“ Inhalte zu transportieren. Die Seite hätte dann nämlich keine lange „Lebensdauer“ zu erwarten. Viel mehr – so auch die Terms & Services (TOS) von redtube.com – legt man Wert darauf, keine „illegale“ Nutzung von Inhalten zu betreiben. Einfache Beschwerdemöglichkeiten per Mail werden vorgehalten. Darüber hinaus bietet redtube.com eine sog. DMCA Notification an – ein standartisiertes Verfahren zur schnellen Regelung (behaupteter) Urheberrechtsverstöße. Alles in Allem ist man dem Eindruck nach sehr um Einhaltung der (Urheber)Gesetze bemüht. Hinzu kommt, dass zahlreiche produzierende Unternehmen die Plattform zum Verteilen kostenloser „Proben“ nutzen, um auf das eigene kostenpflichtige Angebot aufmerksam zu machen. Das Betrachten dieser Proben ist im Sinne der einstellenden Produzenten und verletzt keinerlei Verwertungsrechte. Daher wird man im Ergebnis wohl insgesamt davon ausgehen dürfen, dass redtube.com keine erkennbar rechtswidrigen Vorlagen bereithält. Der behaupteten Rechtsverletzung stünde danach die Schrankenvorschrift des § 53 UrhG entgegen.

Weiterhin könnte aber auf die Schrankenvorschrift des § 44 a UrhG abgestellt werden.

Danach ist eine nur flüchtige Vervielfältigung eines urheberrechtlich geschützten Werkes – also auch im Wege des Streamings – unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Problematisch sind dabei folgende Aspekte: die Vervielfältigungshandlung muss a) zu rechtmässigen Zwecken erfolgen und darf b) keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung dürfte mit besseren Argumenten zu verneinen sein. Denn durch das Streaming wird keine neue, eigenständige Nutzungsmöglichkeit und kein eigenständiger wirtschaftlicher Vorteil eröffnet, der über den mit einer erlaubten Nutzung einhergehenden Vorteil hinausgeht.

Bleibt – als Kernfrage – also, inwieweit das Streaming als „rechtmäßige Nutzung“ im Sinne des § 44 a UrhG anzusehen ist. Naturgemäß scheiden sich hier die Geister; eine finale Klärung dieser Frage in Literatur und Rechtsprechung steht aus.

Der Ansicht, dass das Anschauen eines Streams eine „rechtmäßige Nutzung“ darstellt, verdient m.E. den Vorzug.

Nach Erwägungsgr. 33 der RL 2001/29/EG ist eine Nutzung dann rechtmässig, wenn sie durch den Rechteinhaber erlaubt ist oder wenn sie im Rahmen gesetzlicher Schrankenbestimmungen zulässig und auch sonst nicht durch Gesetze beschränkt ist.

Nun, „erlaubt“ ist die Nutzung sicherlich seitens der Rechteinhaber nicht. Mit besseren Argumenten wird man allerdings vertreten dürfen, dass die Nutzung im Rahmen der bestehenden Schrankenbestimmungen zulässig ist. So ist in der Rechtsprechung geklärt, dass das reine Betrachten einer Programmausgabe auf dem Bildschirm eine nur unkörperliche Wiedergabe darstellt. Diese füllt einen Vervielfältigungstatbestand gerade nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.90 – I ZR 139/89 – Betriebssystem), ebensowenig wie das reine Lesen eines Buches oder das Hören eines Tonträgers.

Ist nun aber das reine Betrachten rechtmässig, so wird man auch die für das Ansehen notwendigen technischen Vorgänge ebenfalls als rechtmäßig ansehen müssen – also letztlich das beim Streaming minimal erforderliche Anfertigen einer Kopie auch nur im Arbeitsspeicher. Eine sonstige Einschränkung ist dabei nicht ersichtlich.

Somit wäre das Streaming über die Schrankenbestimmung des § 44 a UrhG abgedeckt; die Abmahnungen wären zu Unrecht erteilt worden.

3. Bleiben noch die Fragen nach der Ermittlung der IP.

Zum einen kann diskutiert werden, ob es sich bei dem betroffenen Rotlicht-Portal um einen Honeypot handelt. Soweit bekannt, wird dort aber der Vorwurf der IP-Weitergabe von Nutzern von sich gewiesen. Das dürfte letztlich auch glaubhaft sein. Letztlich leben solche Seiten von der „Anonymität“ ihrer Nutzerkreise. Wird keine „Diskretion“ gewahrt, würde dies schnell das Ende des betreffenden Angebotes sein, sobald sich dies herumspricht.

Theoretisch möglich ist auch eine sog. deep packet inspection (dpi) durch beteiligte Provider. Soweit ersichtlich sind bislang nur Kunden eines einzigen Providers betroffen. Vor dem Hintergrund der Bestimmungen zum Fernmeldegeheimnis (§ 88 TKG) einerseits, andererseits aber auch z.B. §§ 206 StGB und 202 a StGB halte ich es kaum für denkbar, dass auf Providerebene an einer IP-Ermittlung mitgewirkt wird. Letztlich müsste nämlich der Datenstrom aller Nutzer – verdachtsunabhängig – mitgeschnitten und kontrolliert werden. Eine solche Praxis wäre ungeheuerlich.

Näher liegt eine „kreative“ Lösung: wird auf der Zielseite – also z.B. redtube.com – Werbung platziert, so kann beim Aufruf dieser Werbung tatsächlich die IP des Nutzers protokolliert werden. Dafür ist weder Flash, Javascript oder andere Erweiterungen nötig. Es genügt das Verlinken eines „Bildchens“ – von denen es auf den betreffenden Seiten etliche geben dürfte. Der Trick liegt darin, diese Bildchen in einem sog. iFrame zur Verfügung zu stellen – also als „Seite in der Seite“. Über einen solchen iFrame kann eine Verbindung zu einem anderen Server – dem eines potentiellen Ermittlers – ausgelöst werden. Auf diese Weise wird auch die IP des „besuchenden“ Rechners übertragen. Über den sog. Referrer – der browserseitig mit übertragen wird (bei einigen Browsern abschaltbar!) – wird zudem mitgeteilt, welche Seite (= mit welchem Film) betrachtet wurde. Zack, die „Falle“ schnappt zu.

Ganz so neu ist dieser „Trick“ nicht. Denn das Vorgehen entspricht der Praxis, die bei Implementierung des Facebook-„Like-Buttons“ geübt wird.

Denkbar wäre auch das Einbinden von Cookies oder sog. „Zählpixel“. Hier wäre aber in der Tat wieder redtube.com im Fokus, bei denen ein aktives Mitwirken aus og. Erwägungen nicht sonderlich wahrscheinlich sein dürfte.

Allerdings: über diese skizzierten Möglichkeiten würde „nur“ übertragen werden, dass eine bestimmte Seite betrachtet wird. Dass über das reine Betrachten der Seite hinaus tatsächlich auch ein auf dieser Seite befindlicher Stream gestartet wird (bzw. wie lange dieser eigentlich geschaut wird), kann dagegen wohl über diese Lösung nicht protokolliert werden.

Denkbar wäre auch das Aufsetzen einer namensähnlichen Seite („Vertipper-Domain“), die auf das urheberrechtlich relevante Material durchleitet. Beim „Durchleiten“ könnte die IP des abfragenden Anschlusses protokolliert werden. Allerdings scheint auch diese Variante eher unwahrscheinlich. Schließlich müsste ein abfragender Rechner (wie?) zunächst die Tippfehler-Domain ansteuern, etwa durch Nutzung einer Suchmaschine. Bei direktem Ansteuern des Rotlichtbezirks fiele die Möglichkeit bereits weg. In rechtlicher Hinsicht würde ein „Durchleiten“ auf doch eigentlich widerrechtlich gespeicherten Content möglicherweise als Erlaubnis des Rechteinhabers im Sinne des § 44 a UrhG ausgelegt werden können, s.o..

Letztlich wäre noch möglich, dass sich die Abgemahnten zuvor ein „Schadprogramm gefangen“ haben, welches die Protokollierung im Hintergrund vornimmt. Das widerum dürfte vor dem Hintergrund der (nicht nur) strafrechtlichen Relevanz des „Unterschiebens“ (vgl. § 303 b StGB) ebenfalls fernliegend sein. Möglich bleibt außerdem ein Browser-Add-on, das im Hintergrund mitliest, das aber ähnlichen rechtlichen Bedenken begegnet.

Technisch und rechtlich ein sehr interessanter Sachverhalt. Für Betroffene aber doch eine äußerst unerfreuliche Entwicklung, die auch in der Perspektive und abseits digitaler Rotlichtbezirke ein mehr als unschönes Potential bietet.

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