VG Magdeburg zur Zulässigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen

Das VG Magdeburg hat mit Urteil vom 24.6.2011 (Az. 1 A 218/10 MD) zur Frage der Zulässigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen gem. § 81 b StPO Stellung genommen.Der Kläger ist beschuldigt worden, einen Leistungsbetrug begangen zu haben. Dieser Vorgang führte zu einer Ladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (Lichtbilder, Fingerabdrücke, Personenbeschreibung). Der Kläger sei in der Vergangenheit wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen eines Mißbrauchstatbestandes in Erscheinung getreten.

Das Verwaltungsgericht hat der gegen den Durchführungsbescheid erhobenen Klage stattgegeben. Das Verwaltungsgericht führt dazu u.a. aus:

(…)
Rechtsgrundlage der im angefochtenen Bescheid angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung ist § 81 b 2. Alt. StPO. Danach dürfen u. a. Lichtbilder, Fingerabdrücke, Messungen und Personenbeschreibung eines Beschuldigten auch gegen seinen
Willen aufgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Aus dieser Bestimmung ergeben sich nicht nur die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der Unterlagen, sondern auch Grund und Grenzen für die
Berechtigung der Behörde, erkennungsdienstliche Unterlagen anzufertigen und aufzubewahren.
Die Notwendigkeit bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der den Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftat, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraumes, währenddessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist, Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderweitig gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtigter in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch
aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Typischerweise kommt die erkennungsdienstliche Behandlung bei erwerbs- oder gewohnheitsmäßig Handelnden oder sonstigen Rückfalltätern in Betracht (Meyer-Goßner, StPO, Kommentar, 51 . Auflage, 2008, § 81 b, Rdnr. 12). Im Übrigen kommt es auf die Umstände im Einzelfall an nach dem vorgenannten
Maßstab.
Gemessen an diesen Grundsätzen erscheint die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers derzeit nicht notwendig, wobei es einer Prognoseentscheidung über das künftige Verhalten des Betroffenen und der in diesem Zusammenhang erforderlichen erkennungsdienstlichen Behandlung bedarf. Dabei ist das Erfordernis, dass die angefertigten
Unterlagen in zukünftigen Ermittlungsverfahren die Ermittlungen der Polizei fördern könnten, dahingehend zu konkretisieren, dass die Unterlagen bzw. Daten gerade für die Aufklärung solcher Straftaten geeignet und erforderlich sein müssen, für die im konkreten Fall eine Wiederholungsgefahr begründet werden kann, wobei es sich nicht jedes Mal um denselben Straftatbestand handeln muss, vielmehr reicht die strukturelle Vergleichbarkeit der vorgeworfenen Taten aus.
Bezüglich der hier erforderlichen Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr folgt aus der Vorladung vom (…) nur formelhaft im Wege eines Textbausteines, dass aufgrund der Begehungsweise in dem Anlassverfahren und der darüber hinaus vorliegenden polizeilichen Erkenntnisse davon auszugehen ist, dass der Antragsteller zukünftig erneut in gleicher oder ähnlicher Weise straffällig werden oder zumindest in den Kreis möglicher Tatverdächtigter bei vergleichbaren Delikten einzubeziehen ist.
Zwar stellt dies richtigerweise die allgemeinen aus der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen für die Rechtmäßigkeit einer Vorladung dar, jedoch fehlt die Umsetzung auf den konkreten Fall, inwieweit nämlich die Anlasstat und konkrete darauf bezogene Delikte des Antragstellers, gemessen an seiner Persönlichkeit, u. a. auch nach seinen Aussagen, die Prognose rechtfertigen, dass er künftig oder anderweitig gegenwärtig
mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten.
Auch aus der Angabe, der Kläger habe Straftaten von erheblicher Bedeutung i. S. v. § 81 g StPO begangen, ist nicht ersichtlich, weshalb die Prognose gerechtfertigt ist, der Kläger werde sich erneut strafbar machen.
Dass vor der Anordnung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung oder vor der Begründung und Belehrung eine solche Umsetzung auf den konkreten Fall erfolgt und dem Antragsteller bekannt gemacht worden wäre, lässt sich den vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen. Dass vorher eine „Negativprognose“ erstellt und dem Antragsteller zuvor zugänglich gemacht worden wäre, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Die unzureichende Prognose kann auch nicht im Klageverfahren geheilt werden (vgl. hierzu: VG Magdeburg, U. v. 15.12.2008- 1 A 31/08 MD-, S. 10 d. UA.). Denn bei dieser Prognose steht der Behörde ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Gericht wie ein
Ermessensspielraum nur eingeschränkt überprüft werden kann.  Entsprechend § 114 Satz 2 VwGO können Beurteilungs- bzw. Prognoseerwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur ergänzt, aber nicht komplett nachgeholt werden (…).

This entry was posted in Alles, Allgemein, Datenschutz, Verwaltungsrecht. Bookmark the permalink.

Comments are closed.